La Pedrera
Der Erfolg, den Gaudí mit den beiden von ihm Anfang
des 20. Jahrhunderts im Stadtviertel der Eixample von Barcelona errichteten Wohnhäuser erzielt hatte, sollte ihm bald schon einen weiteren Auftrag einbringen. Bauherr war diesmal ein gewisser Pere Milà, ein reicher Mann aus guter großbürgerlicher Familie, der sich mit der jungen und ebenfalls gut betuchten Witwe Rosario Segimon aus Reus verheiratet hatte. Ein Jahr nach ihrer Eheschließung beauftragte er Gaudí mit dem Bau eines Wohnhauses, dessen Beletage für seine Familie vorgesehen war, während die übrigen Stockwerke vermietet werden sollten. Errichtet wurde das Prestigeobjekt am Passeig de Gràcia, der damaligen Prachtstraße von Barcelona, die sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts als ideale Bühne für das gesellschaftliche Leben einer dem Baufieber verfallenen Stadt darbot.
EIN HAUS FÜR DAS EHEPAAR MILÀ-SEGIMON
Im Einklang mit den Wünschen seines Auftraggebers entwirft Gaudí ein in jeder Hinsicht einzigartiges Haus – angefangen von seiner auf Pfeilern beruhenden Struktur, wodurch bei der Aufteilung der Räumlichkeiten absolute Flexibilität gegeben war, bis hin zum Einbau der Aufzüge, mit denen man die einzelnen Etagen direkt von der Eingangshalle aus erreichen konnte, oder den großzügig angelegten Innenhöfen, die für mehr Hygiene, eine optimale Belüftung und verbesserte Lichtverhältnisse sorgten. Alles in allem stellte das Gebäude im Vergleich zu allen anderen Häusern der Eixample, so reich und geschmückt sie auch sein mochten, eine radikale Neuheit dar. Das Bauwerk umfasst zwei Wohnungsblöcke mit unabhängigen Zugängen, die um zwei große, untereinander in Verbindung stehende Innenhöfe angeordnet sind.
La Pedrera im Bau, ca. 1910. © Càtedra Gaudí-ETSAB-UPC. Bestand Josep Bayó, Bauunternehmer.
EINE GEKAPPTE STRASSENECKE, EINE EINZIGARTIGE STRUKTUR
Eben diese neuartige Konzeption erklärt, weshalb die offenbar so imposanten Steinfassaden, die für das Gebäude beim Volksmund die Bezeichnung La Pedrera (deutsch „der Steinbruch“) aufkommen ließen, aufgrund ihrer im Gegensatz zu allen anderen in traditioneller Bauweise erstellten Häusern nicht strukturellen Funktion eine so beeindruckend großzügige Anordnung von Fenstern, Balkonen und Erkern erlauben und sich über den Tag hin dem Lauf der Sonne folgend verändern.
In einem für ihn sehr bezeichnenden Akt genialer Rebellion löst Gaudí die von Ildefons Cerdà ein halbes Jahrhundert vorher als unveränderliches Gestaltungsmerkmal bei der urbanistischen Erschließung der Eixample festgelegte Geometrie der Straßenecke auf, setzt einen wuchtigen Pfeiler mitten aufs Trottoir und überschreitet dazu erheblich die behördlich festgelegte Bauhöhe durch die Anlage eines beeindruckenden Dachbodens mit 270 schlanken, aus Ziegeln errichteten Parabel- und Kettenbögen, die als Unterbau für eine spektakuläre Dachterrasse in Gestalt einer weltweit einmaligen, künstlichen Landschaft dienen.
DIE DACHTERRASSE ALS BEREICH UNGEZÜGELTER KREATIVITÄT
Eine einmalige Dachterrasse voller kreativer Kraft, die nichts mehr zu tun hat mit der Architektur der damaligen Zeit. Eingebettet in die wellig gewundenen Formen finden sich dem Profil und dem Rhythmus der Hauptfassade folgend Oberlichter oder Treppenhäuser, Luftschächte und Kamine. Ausgeführt in dynamischer, frei symbolträchtiger Ausfertigung und zum Teil verkleidet mit Mosaiken aus Keramik, Stein, Marmor oder Glas, entsprechen diese Bauelemente durchweg den ihnen zugedachten wohnbedingten Funktionen.
EINE BAHNBRECHENDE FASSADE, IHRER ZEIT WEIT VORAUS
Die drei Teile der Hauptfassade sind als formales Kontinuum von atemberaubender Schönheit konzipiert. Gaudí sah eine funktionslose, über die Geschossdecken verankerte Steinmauer vor und nahm so formell Architekturtrends vorweg, so wie sie erst Jahre später, bei Erich Mendelsohn und anderen etwa, in Mitteleuropa aufkamen und dort umgesetzt wurden. Die aus offensichtlichen Gründen schmalere rückwärtige Fassade zeichnet sich durch die gleiche formale Freiheit aus, greift dabei aber auf bescheidenere, anspruchslosere Materialien und bautechnische Verfahren zurück.
EIN GESAMTKUNSTWERK
Bei diesem Projekt konnte Gaudí auf die Mitarbeit des jungen Architekten Josep Maria Jujol zählen, mit dem er bereits bei der Casa Batlló tätig war. Gaudí war mit der Arbeit seines jungen Kollegen so zufrieden, dass er ihn später auch zur Mitarbeit am Park Güell und schließlich sogar für die Renovierung der Kathedrale von Mallorca zu sich rief.
Die Casa Milà darf als Beispiel für totale Architektur gelten, und zwar in dem Sinne, dass ihre expressive Radikalität bei allen Aspekten zum Vorschein kommt, von der funktionellen und konstruktiven Planung bis hin zu allen Ecken und Kanten des Gebäudes. Es handelt sich keineswegs um die Applikation einer dem Stil der Zeit innewohnenden Ausdrucksweise zur Kaschierung eines konventionell erstellten Gebäudes, so wie dies bei sehr berühmten Beispielen des Modernisme in Barcelona tatsächlich der Fall ist. Die 32 schmiedeeisernen Balkone werden durchweg als Skulpturen behandelt, und die Decken der einzelnen Wohnungen zeigen uns ein Haus mit einer Plastizität, wie sie bis dahin niemand gekannt hat.
Das Besondere an diesem Haus ist eine räumliche Konzeption, die sich auf absolut alle einzelnen Aspekte bezieht. Bemerkenswert ist so etwa, dass bei der Casa Milà an die Stelle der traditionellen Innenhöfe sonstiger Häuser der Eixample zwei große kreisförmige bzw. elliptische Höfe treten, die sich als Bezugsräume des ganzen Gebäudes darstellen, werden die Besucher doch durch sie, die für verbesserte Licht- und Belüftungsverhältnisse für die sechzehn Wohnungen sorgen, von der Straße bis hinauf zur Dachterrasse geführt. Die Fassaden dieser Höfe sind ein wahres Wunder an Formen, Licht und Farben. Für die farbliche Gestaltung sorgen die vor allem auf florale Motive Bezug nehmenden Wandmalereien, die dann auch an den Decken und den seitlichen Wänden der beiden Eingangshallen und dem großen Treppenaufgang, verbunden mit mythologischen Szenen, wiederkehren.
LA PEDRERA, VERSPOTTET UND ANERKANNT
Rosario Segimon, die Dame des Hauses, hat den von ihrem zweiten Gatten Pere Milà zum Bau des schönsten Hauses der Stadt eingesetzten Architekten nie wirklich geschätzt und verstanden, und dies, obwohl Gaudí dem ihm übertragenen Auftrag voll entsprochen hat. Die Beletage, die ihrer Größe nach das gesamte Grundstück einnimmt, hat eine Fläche wie die vier in jeder Etage vorgesehenen großzügigen Mietwohnungen zusammengenommen.
La Pedrera wurde missverstanden und von der satirischen Presse nicht nur verspottet, sondern in ihrem architektonischen Wert voll verkannt. Die Casa Milà war Gaudís letztes ziviles Projekt. Sie wurde 1912 fertig gestellt, allerdings erst nach einem lästigen Streit um die Honorare des Architekten, der schließlich bei den Gerichten landete und von diesen zu Gunsten von Gaudí beigelegt wurde.
Trotz allem wurden die Einzigartigkeit und der künstlerische und kulturelle Wert des von Gaudí geschaffenen Werks mit der schließlich 1962 erfolgten Einbeziehung in den Katalog des kulturellen Erbes der Stadt Barcelona klar zum Ausdruck gebracht. Im Jahr 1969 kam das Haus auch unter Denkmalschutz und 1984 erfolgte die Aufnahme in den Katalog des Weltkulturerbes der UNESCO.
Derzeitiger Besitzer der Casa Milà ist die Stiftung Catalunya-La Pedrera, die sich um die Förderung, die Instandhaltung und den Schutz des Gebäudes kümmert. La Pedrera beherbergt ein bedeutendes kulturelles Zentrum der Stadt Barcelona, in dem immer wieder die verschiedensten Ausstellungen und Veranstaltungen stattfinden.
ÖFFNUNGSZEITEN
November bis Februar von 9.00 bis 21.00 Uhr
März bis Oktober von 9.00 bis 23.00 Uhr
Geschlossen: 25. Dezember sowie eine Woche im Januar aufgrund von Wartungsarbeiten (näheres über La Pedrera).
ÖFFENTLICHE VERKEHRSMITTEL
Bus: 7, 16, 17, 22, 24, V17
U-Bahn: L3 / L5 - Diagonal
FGC: Provença-La Pedrera
RENFE: Passeig de Gràcia
STADTRUNDFAHRTEN
Bus Turístic: Blaue Route Tibidabo
Barcelona City Tour: Route Ost Tibidabo